Nächstenliebe oder Freundlichkeit?

Gerne wird von einigen Glaubensgesellschaften von der Nächstenliebe geredet. Diese Bezeichnung als Liebe erscheint jedoch etwas leichtfertig und rührt möglicherweise aus Übersetzungsproblemen der Bibel bzw. sprachlichen Defiziten des Hebräischen her.

Liebe ist ein starkes emotionales Gefühl. Die Aufforderung „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ ist insoweit Unfug, als die Liebe weder von anderen Befohlen werden kann noch im Sinne eines kategorischen Imparativs selbst angenommen werden kann. Der Punkt, dass sich möglicherweise auch nicht jeder selbst „liebt“, sei hier einmal außer Acht gelassen.

Es geht bei der „Nächstenliebe“ nicht um Liebe. Wer die Nächstenliebe auf eine Stufe stellen will mit der Liebe zwischen einem Liebespaar oder der Liebe der Eltern zu ihren Kindern, der muss ein ganz jämmerliches Bild haben von der Liebe. Der Begriff der Nächstenliebe ist also gänzlich unbrauchbar.

Sollen wir aber zu jedem Fremden nett und freundlich sein? Das Leben wäre doch um einiges angenehmer, wenn alle Menschen immer und zu jederzeit freundlich und führsorglich-liebevoll, maximal rücksichtsvoll  mit einem umgehen würden. Allerdings verhält es sich so, dass die Menschen einen gewissen Lerneffekt hätten, die sich im Umgang mit anderen Menschen keine Mühe geben, die andere Menschen versehentlich verletzen, die anderen Menschen zur Last fallen oder diese belästigen. Die Interessen, derartiges Verhalten zu unterbinden, würden nicht mehr zum Tragen kommen, wenn man sich solchen Menschen immer nur nett und liebevoll gegenüber verhalten würde. Man würde in gewisser Weise negatives Verhalten in der Zukunft provozieren.

Fazit:
Dem allgemeinen friedlichen Zusammenleben ist schon in erheblichem Maße gedient, wenn sich jeder einfach nur einmal Mühe gibt, die Interessen der Mitmenschen zu achten, sich rücksichtsvoll und anständig zu verhalten, die Kopfhörer statt des Bassboosters mit in die U-Bahn zu nehmen, den Nachbarn auch einmal zuerst zu grüßen oder auch den Becker um Brötchen zu bitten, statt ihm einen Befehl zu erteilen.

Was ein anständiges Verhalten alles einschließt, lässt sich sicherlich nicht abschließend aufzählen. Jedenfalls gehört dazu, auf die Verletzung der Interessen der Mitmenschen aus lauter Lust und Laune zu verzichten, für versehentliche Interessenverletzungen um Nachsicht zu bitten und auch gelegentlich in Vorleistung zu treten, wobei hier vieles denkbar ist,
etwa einer Frau mit ihrem Kinderwagen in den Bus zu helfen, einem 80-Jährigen am Bahnhof die schweren Koffer eine Treppe hinauf zu tragen, Kindern an der roten Ampel ein Vorbild zu sein, auch wenn die Straße frei ist.

Mit einem anständigen, grundsätzlich positiven und angemessenem Verhalten ist allen mehr gedient, als mit einer vermeintlichen Nächstenliebe einfach allen gegenüber. Das schließt nicht aus, dass man auch einen Obdachlosen immer noch als Menschen behandelt.

Völlig abwegig ist es dann, einen Feind lieben zu sollen: Ein Feind im Kriege ist zu behandeln, wie ein Feind. Dennoch stehen auch ihm Menschenrechte zu und auch er ist als Mensch zu behandeln. Natürlich kann man auch zu einem Feind freundlich sein, wenn die Umstände des Krieges dies zulassen. Außerhalb des Krieges sollte man übrigens nicht von einem „Feind“ sprechen, da diese Bezeichnung suggeriert, dass es ausschließlich gewaltsame Konflicklösungsmöglichkeiten gibt.

April 2009; allgemeine Ausführung, die keine bindende ethische Norm der Weltsichtgemeinschaft enthält.