Das Verständnis des Todes

 
Inhalt:
Verständnis eines endlichen Lebens
Philip Pullmans „Das Bernsteinteleskop“ (aus „His Dark Materials“)
Ein glücklicher Gedanke

Der Tod bedeutet das Sterben eines Lebewesens mit allen Konsequenzen: Tatsächlich lebt insbesondere kein „Geist“ oder die „Seele“ weiter, wenn der Körper unwiederbringlich verstorben ist. Diese Vorstellung ist eng verbunden mit der Vorstellung vom menschlichen Geist, bzw. von der Seele. Ebensowenig gibt es Wiedergeburten oder Auferstehungen nach dem Tod. Das individuelle Leben ist endlich.


 Wilhelm Busch:
 So ist nun mal die Zeit allhie,                - dann trägst du sie;       Und wann´s vorüber,    
 Erst trägt sie dich,                                                                       weißt du nie                                                                                    

Die Vorstellung eines endlichen Lebens ist Verbunden mit der Notwendigkeit, dieses Leben anzunehmen, in diesem Leben sein Glück zu suchen und sich zu diesem Leben hinzuwenden und sich nicht in jenseitige Gedanken zu flüchten.

Andererseits ergibt sich aus dieser Vorstellung auch ein bestimmtes Verständnis beim Tod naher Freunde oder Angehöriger: Der Mensch ist tot und muss nicht mehr bemitleidet werden. Mitgefühl gebührt allenfalls den Angehörigen, die ihr Leben nun ohne diese Person verbringen müssen, ja schlimmstenfalls nicht auf den Abschied vorbereitet waren oder sich gar nicht mehr verabschieden konnten. Die Angehörigen selbst können Selbstmitleid üben, etwa zur unterbewussten Suche nach Zuneigung durch Dritte oder aber in der Auseinandersetzung mit dem Gedanken, den Rest des eigenen Lebens ohne die verstorbene Person verbringen zu müssen. Trauer ist in diesem Zusammenhang nichts unnatürliches.

Die Frage, wie die Person verstorben ist, kann allerdings auch zum erschrockenen Erkennen der Möglichkeiten des eigenen Versterbens beitragen. Andererseits kann darin aber auch ein Vorbild oder die Hoffnung liegen, ebenso zu versterben: Gleichzeitig kann dies auch die Frage aufwerfen, ob diese Zukunft realistisch ist, bzw. welche Ursachen gesetzt werden müssen.

Die Erinnerung an eine Person ist die eigene Bewältigung des Umstandes des Verlusts. Gleichzeitig kann darin auch ein Respekt unter Lebenden ausgedrückt werden, weil sich darin die Ehrlichkeit der Zuneigung dem Verstorbenen gegenüber manifestiert, die zu Lebzeiten bestanden hat. Weiter kann die Erinnerung an die Person, etwa das konkrete Vorstellen des Wesens der Person, ihrer Erscheinung und ihrer Verhaltensweisen zur Selbstreflektion der eigenen Vergangenheit gehören, zum Erkennen der Ursachen, die diese Person zur Entwicklung des eigenen Lebens gesetzt hat.

Philip Pullmans Ideen aus der Trilogie „His Dark Materials“
In dem dritten Buch der Pullman-Trilogie, in „Das Bernsteinteleskop“, wird die Vorstellung dessen, was nach dem Tode passiert, in einer mythologischen Art und Weise beschrieben:

Letzter Stand des Weltbilds in der Geschichte ist nach einer Reise der Hauptpersonen durch das Reich des Todes, dass die körperlosen Menschen nach dem Tode in eine Unterwelt kommen, in der sie ihre wahre Lebensgeschichte erzählen müssen und als Gegenleistung hierfür von dem ewigen Leben erlöst werden, in dem ihnen ein Ausgang in die Welt gezeigt wird: Hier haben sie nun die Möglichkeit, in die Welt zurückzukehren, wobei sie in ihre einzelnen Atome auseinanderfallen und eins werden mit der Welt. Die Unterwelt wird hierbei als düsterer Ort beschrieben, in der alle Geister dicht gedrängt beieinander sind. Die Möglichkeit, in der Welt aufzugehen, wird jetzt von den Hauptpersonen für so wichtig gehalten, dass sie auf die Liebe ihres Lebens hierfür verzichten.

Geht man davon aus, dass auch der Mensch keine unphysische „Seele“ im christlichen Sinne hat, dann wird der Mensch nach seinem Tode tatsächlich wieder „eins“ mit der Welt, früher oder später vermischen sich irgendwann die Atome und Moleküle unseres Körpers mit der Umwelt. Unsere individuelle Existenz löst sich auf und unsere Teile werden wieder Bestandteil von allem möglichen, dem Dünger, der die Blumen nährt, den Blumen selbst, dem Tautropfen, der am frühen Morgen in der Sonne glitzert, dem Nektar, der von den Bienen davon getragen wird. Faszinierenderweise ist gerade diese Vorstellung mit der Realität vereinbar - abgesehen von anderen Bestandteilen der  Geschichte.


                                                  
Zu dem nicht notwendigerweise positiven und glücklichen „ewigen Leben“ wird die Vorstellung 
der Geschichte in Kontrast gesetzt, nämlich als äußerst glückliche Vorstellung: Glucksend wie die Perlen in einem Sektglas versprühen die Geister und werden eins mit der Welt, in der sie gelebt haben, sie sind zu Hause.



Es wird hier deutlich, dass es auch eine Frage des Blickwinkels ist, ob man das tatsächliche Ende als durchweg negativ sehen muss oder ob man nicht sogar die vermeintlich bessere Illusion eines ewigenLebens bei genauer Betrachtung furchteinflößend ist, in der jeder 1000-jährige Vampier wie ein Jugendlicher erscheinen muss. In dem Wunsch, als Seele ewig leben zu wollen, spiegelt sich der Trieb des Menschen wieder, sein Leben auf Erden zu erhalten. Es handelt sich allerdings um das Klammern an eine irreale Wunschvorstellung, ganz anders als die Forderung des Transhumanismus etwa, das menschliche Leben tatsächlich zu verlängern.

Die Versprechung des ewigen Lebens (im vorgestellten Jenseits) erscheint bei genauer Betrachtung allerdings nicht recht durchdacht zu sein, so dass man selbst  mit der Vorstellung eines Himmels kaum weiß, ob es sich um eine Versprechung oder eine Drohung handeln soll - das gilt erst recht unter dem Gesichtspunkt, dass zumindest auf Erden selbst bei dem geistig fittesten Greis mit dem Alter von hundert Jahren die ersten Demenzerscheinungen einsetzen.  

Nach Pullmans Geschichte müssen die Toten ihre Lebensgeschichte erzählen, um den Weg zurück in die Welt zu finden, wenn sie mit dieser eins werden wollen: Auch unter diesem Aspekt wird der Blick auf das Leben gerichtet und nicht auf das Jenseits. Die Menschen sollen so leben, dass sie am Ende des Lebens vor sich selbst ihre Lebensgeschichte erzählen mögen.  Ähnlich formulierte es jüngst „Blacky“ Fuchsberger in der Talkshow bei „Beckmann“, er wolle sich jeden Morgen noch selbst ins Gesicht sehen können. Die unterwürfige Haltung gegenüber einer gewalttätigen, vermeintlich moralisch überlegenen Gottheit ist hierbei kein Maßstab, der zu Pullmans Menschenbild passen würde.

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Helmut Schmidt im Interview in „Menschen bei Maischberger“ vom 14.12.2010, Quelle: hpd

Sandra Maischberger: „Wenn ein Mensch, der einem nahe steht, stirbt, ist doch der Glaube an ein
Leben nach dem Tode ein tröstlicher Gedanke. Und viele kommen in Krisensituationen wieder dazu. Haben Sie in diesem Jahr einen Weg dahin gefunden?“

Helmut Schmidt: „Nein, ich habe mich an das gehalten, was meine Frau selbst geglaubt und gesagt
hat. Meine Frau ist von Hause aus eine Biologin, eine Botanikerin in spezieller Weise, vor allem aber eine Biologin und Anhängerin von Charles Darwin. Und sie war der Meinung: Wenn ein Mensch stirbt - ob er nun verbrannt wird oder ob er beerdigt wird oder seine Asche auf See ausgestreut wird – in jeden Fall: Die Atome oder Moleküle, aus denen er zusammengesetzt war, die bleiben nach. Und eines Tages werden sie möglicherweise von einer Pflanze, die da wächst, aufgenommen und gebraucht für den Aufbau dieses neuen Baumes. Oder möglicherweise werden sie von einem Tier mitgefressen, das irgendwelche Samen frisst. Es geht kein Molekül verloren. Das war ihre Meinung. Und die hat mich immer überzeugt.“

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„Schafft hier das Leben gut und schön, kein Jenseits ist, kein Aufersteh'n.“
Friedhof Pappelallee Berlin

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Einen ganz anderen Ansatz bietet die Idee von der ewigen Wiederkunft Friedrich Nietzsches. Die Tiere wissen, was Zarathustra bei seinem Tod sagen würde (aus „Also sprach Zarathustra): 
„Nun sterbe und schwinde ich, würdest du sprechen, und im Nu bin ich ein Nichts. Die Seelen sind so sterblich wie die Leiber.
Aber der Knoten von Ursachen kehrt wieder, in den ich verschlungen bin, – der wird mich wieder schaffen! Ich selber gehöre zu den Ursachen der ewigen Wiederkunft.
Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange – nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben:
– ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten, dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre, –
– dass ich wieder das Wort spreche vom grossen Erden- und Menschen-Mittage, dass ich wieder den Menschen den Übermenschen künde.
Ich sprach mein Wort, ich zerbreche an meinem Wort: so will es mein ewiges Loos –, als Verkündiger gehe ich zu Grunde!“