Wertekatalog und die Ursachen von Ethik und Moral 

Inhalt:
I. Ursachen
    Angeborenes
    Geschaffenes
    religiöse Begründung
    Kants Trugschluss
II. Sinn und Unsinn eines Wertekatalogs


Jeder Mensch hat die Freiheit, für sich zu beurteilen, welches Handeln er für gut oder böse hält.
Über  die Frage, ob die Menschen eine festgeschriebene Ethik und Moral brauchen, bestehen geteilte Auffassungen. Die einen sind der Ansicht, dass es eines schriftlich niedergelegten Moralkatalogs bedarf, damit sich die Menschen moralisch und ethisch „gut“ verhalten. Viele meinen sogar, man müsse den Menschen einen solchen Katalog vorgeben, diesen quasi vorschreiben. Andere sind der Ansicht, dass dies überflüssig ist, soweit die Regelungen über die Gesetze hinaus gehen, an die sich wegen des faktischen Zwanges letztendlich auch derjenige halten muss, der die Gesetze im Ergebnis ablehnt.


I. Ursachen
Es verwundert nicht, dass weltweit eine weitgehende Übereinstimmung in bestimmten Grundwerten bestehen, und zwar unabhängig von der jeweiligen Kultur. Hierzu zählt z. B. das grundsätzliche Verbot, innerhalb der Gesellschaft zu morden, jemanden an der Gesundheit zu beschädigen, zu Rauben und zu stehlen, andererseits auch das Recht zur Notwehr und viele Gemeinsamkeiten mehr.

Angeborenes

Nun mag der eine oder andere den Eindruck gewonnen haben, dass eine gemeinsame Grund-Ethik ihre Ursache im angeborenen Verhalten hat, in den Genen des Menschen. Richard Dawkins hat in seinem Werk „Das egoistische Gen“ an zahlreichen Beispielen dargelegt, in welchen Fällen auch ein vermeintlich altruistisches Verhalten den Tieren angeboren ist und genau dargelegt, wieweit dieses oder jenes Verhalten dem Überleben einzelner Gene genützt hat.
Diese Beispiele betreffen allerdings weitgehend die Brutpflege, die Partnerwahl und die Vergeltungsstrategieen in einer Auseinandersetzung zweier streitender Tiere. Wer hier unterstellt, die gesamte menschliche Ethik beruhe auf den Genen, verkürzt die Sache extrem und wird Schwierigkeiten bekommen, bestimmte Unterschiede in Ethik und Moral innerhalb der Menschheit zu erklären. Die genetische Begründung lässt sich wohl nur zu einem kleinen Teil auf den Menschen übertragen, weil gravierendere Ursachen für das menschliche Verhalten außerhalb der genetischen Veranlagung liegen. 

Die angeborenen Verhaltensweisen sind dann auch letztendlich nicht geeignet, Normen zu begründen. Die Normsetzung gegen diese Veranlagungen allerdings ist wegen der damit verbundenen Durchsetzungsschwierigkeiten und des daraus folgenden Zwanges im Zweifel eher abzulehnen.


Geschaffenes

Werte entstehen im Wesentlichen durch die menschliche Wertung, der künstlichen Aufstellung von Regeln. Das ist auch für den Fall vermeintlicher Wertebegründung durch einen Gott nicht anders, da auch hier Menschen sagen müssen, was denn der Gott gewollt haben soll… Diese Regeln verfolgen immer einen bestimmten Zweck, auch wenn dieser Zweck vielleicht Jahre später nicht mehr klar erkennbar ist oder auch abgeändert wurde. 
    Bei den weltweit übereinstimmenden Werten liegt der Hauptzweck der Norm darin, die Nachteile des menschlichen Zusammenlebens innerhalb einer Zivilisation möglichst gering zu halten. Der Hauptanteil unserer Werte bezweckt, dass ein möglichst friedliches Zusammenleben innerhalb der Gesellschaft möglich ist. Niemand würde die Vorteile einer Gesellschaft in Anspruch nehmen wollen, in der jemand morden darf: Es ist nämlich kein Vorteil denkbar, der den Nachteil der Gefahr, ermordet zu werden, aufwiegen könnte. Die Werte haben demnach stets konkrete Zwecke, die sie erfüllen sollen. Vielfach wurden Werte auch dementsprechend abgeändert,  wenn also ein Machthaber die eigene Macht erhalten oder er bestimmte Gesellschaftsschichten beherrscht werden wollte. 

Gibt es also absolute Werte, ein absolutes Gutes oder Böses? Die Frage ist bereits beantwortet, denn der Wert ist stets abhängig von dem bestimmten Zweck, den er erfüllen soll. Je nach Interesse können demnach Gut und Böse anders ausfallen. Es handelt sich stets um eine Frage des Zwecks und auch der Perspektive, denn Gut und Böse sind auch subjektive Begriffe: Für den Menschen ist die Mücke böse, die ihn beim Schlafen stört, die ihn stechen und ihm sein Blut rauben will, die ihm einen juckenden Stich hinterlässt und ihn schlimmsten-falls mit Malaria infiziert. Für eine Mücke ist der Mensch das absolute Böse, wenn er mit Tötungsabsicht auf sie losgeht. (Man kann sich noch zahlreiche bessere Beispiele ausdenken).

Gelegentlich wird der Eindruck erweckt, als seien Werte und Normen ein Selbstzweck: Dies ist eine Illusion. Es ist allerdings so, dass die geordenete Zivilisation wichtig ist, um ein friedliches und vorteilhaftes Gemeinschaftsleben zu ermöglichen. Auch „schlechte“ Regeln können daher im Einzelfall als Ordnungsprinzip und zur Gewährung einer gewissen Gleichbehandlung besser sein, als gar keine Regeln. 

Religiöse Begründung?

Kann aber ein Gott als Garant von Gut und Böse herhalten, als unumstößliche Wertbasis? Ja und nein. So lange die Menschen Angst vor einem übernatürlichen Wesen haben, dass sie nach dem Tode bestraft oder belohnt oder dies wohlmöglich noch während des Lebens erfolgt, kann man Menschen dazu bewegen, bestimmte Werte zu übernehmen, ohne dass diese Werte hinterfragt werden. Die Frage nach dem Zweck einer Norm stellt sich nicht, wenn die Norm von einem so mächtigen Wesen aufgestellt zu sein scheint, gegen das der Mensch nichts ausrichten kann, dass ein Aufstemmen also sinnlos erscheinen würde, wenn der Mensch also glaubt, dass sein Verhalten unmittelbar sanktionierbar ist. Allerdings übernimmt dieser Mensch diese Werte nicht im eigentlichen Sinne, er unterwirft sich lediglich. Der Glaube, dass eben die eigenen Werte gute Werte sind, kann aber auch als eigene (scheinbare) Begründung herhalten: Eben diese Vorstellung kann gekoppelt sein mit einem Gottesglauben. Diese Wertefundierung ist allerdings alles andere als unumstößlich, weil sie im Falle der Koppelung an einen Gottesglauben auf einer Suggestion gründet, also letztendlich auf einem Irrtum.

(hier zum Artikel: -> Begründung des Menschenwürdeschutzes)

Kants Trugschluss
Unter dem Gesichtspunkt der Relativität von Gut und Böse trifft der kantsche kategorische Imperativ auch nur begrenzt zu: Dieser besagt, dass sich der Mensch so verhalten soll, als ob es den christlichen Gott gäbe, als ob es ein Leben nach dem Tode gäbe und als ob der Mensch frei wäre. Wenn er dies beherzigt, soll der Mensch nach Kant gut handeln. Das setzt natürlich voraus, dass die durch die Gottheit repräsentierten Werte auch gut sind. Hält man z. B. das Töten von Menschen, die man für eine Hexe hält, für schlecht, so kann dieser Imperativ ebenso Schlechtes wie Gutes hervorbringen. Insofern geht es also nicht um die Methode der Begründung durch einen Gott, sondern eher um den Inhalt!
    Wer meint, man könne Werte nur mit dem christlichen Gott begründen, der sollte sich ansehen, ob der Gott in der Vergangenheit geeignet war, diese Werte in entsprechender Form zu begründen. Auch heute wird gerne auf den Christengott Bezug genommen etwa zur Begründung der Menschenwürde, wie jüngst wieder der ehemalige CSU-Generalsekretär Heiner Geisler dies in einer Talkshow getan hat. Tatsächlich haben sich die Menschenrechte aber erst in der allerjüngsten Geschichte durchgesetzt und waren 1000 Jahre zuvor auch nicht durch den Christengott zu begründen: Nicht nur, dass der Gottesglaube Mord und Totschlag nicht verhindert hat, es wurden (und werden) sogar in unzähligen Fällen die Gottheiten für Krieg, Folter und Mord gerade als Begründung herangezogen. Im Originalwortlaut der zehn Gebote wird die Sklaverei als Selbstverständlich vorausgesetzt, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit sind der Bibel letztendlich fremd.  Es gab also stets immer ganz andere Interessen, ganz andere Wertungen, die unsere Normen bestimmt haben, als ein unbeweisbarer Gott. (-> hier zum Artikel „Kants Gottesbeweis eines Atheisten“)

Utilitarismus
Jeremy BenthamDer Utilitarismus (neulat. Nützlichkeitslehre) nimmt an, dass jede Norm auf ihren Sinn und Zweck zurück geführt werden können muss. Nach dem Utilitaristen Bentham (1748-1832) ist eine Norm oder eine menschliche Handlung dann „gut“, wenn sie die Lust Fördert und den Schmerz vermindert. Lust und Schmerz sind allgemein zu verstehen, im Sinne von Wohlergehen und Leid. Auch ist nicht zwangsläufig der Kurzzeithedonismus gemeint. Auf Gesetze bezogen müsste dann eine Norm für eine möglichst große Anzahl von Personen lustfördernd und schmerz- mindernd sein. Diese Herangehensweise ist ein Grundgedanke, der keinen Wertekatalog liefert. Auch Bentham ging in seinen einzelnen Überlegungen selbstverständlich weit darüber hinaus.  

Auch wenn Bentahm den Schritt zu den Menschenrechten damit nicht geschafft hat, forderte er bereits aus dieser Herangehens- weise allgemeine Wahlen, das Frauenstimmrecht, die Abschaffung der Todesstrafe, Tierrechte, Pressefreiheit, Demokratie und Rechtsstaat.

Weitere Gedanken zum Thema finden sich auch im Blog des „Feuerbringers“

II. Sinn und Unsinn eines Wertekatalogs

Lehrer Lämpel, Wilhelm BuschErst nach diesen Gedanken vage ich eine Antwort auf die Frage, ob der Mensch konkrete moralisch/ethische Vorgaben braucht:
Das wäre der Fall, wenn der Mensch ansonsten nicht in der Lage wäre, überhaupt ein Ziel zu formulieren und wenn bestimmte Menschen im Gegensatz zum Durchschnittsmenschen besser hierzu in der Lage wären. Es ist allerdings so, dass einige Menschen glauben, dies besser zu können, obwohl sie die tatsächliche Ursache ihrer eigenen Wertung nicht erkennen und weil sie demnach irrtümlich ihre eigene Wertung für absolut halten, obwohl es sich lediglich um ihr eigenes Interesse handelt.

Es ist dann auch tatsächlich so, dass jeder Mensch Wertungen von Gut und Böse mit sich herumträgt und auch völlig neue Sachverhalte sekundenschnell in diese Kategorien einordnen kann, auch ohne einen konkreten Wertekatalog zu haben oder diesen bezeichnen zu können. Lichtenbergs Ausspruch trifft es recht gut: „Tugend aus Vorsatz taugt nicht viel. Gefühl und Gewohnheit ist das Ding“. Auch bei den Christen ist es übrigens so, dass nur die Wenigsten die Bibel überhaupt durchgelesen haben und demnach überhaupt benennen könnten, welche Werte sie da überhaupt gutheißen. Auch in der Politik ist mit „christlichen Werten“ normalerweise nicht das gemeint, was in der Bibel steht. Bei denjenigen, die einen Wertekatalog für sich in Anspruch nehmen, ist es häufig so, dass sie den eigenen Wertekatalog im Laufe des Lebens verwerfen oder sich selbst nicht daran halten.

Es bleibt also das Fazit, dass der Mensch einen Wertekatalog nicht benötigt und dass der Menschheit am meisten gedient ist, wenn man mit dem Einzelfall argumentiert oder einzelne Werte einfordert und diese mit ihrem Zweck begründet. Mit dem pauschalen Ruf nach „christlichen Werten“ ist niemandem gedient. Nur der wahre Zweck und die Eignung einer Norm zur Erreichung dieses Ziels kann andere Menschen dann auch überzeugen. Jeder Einzelne sollte sich vorsehen vor Menschen, die anderen den eigenen Wertekatalog aufzwingen wollen, sie dazu überreden wollen, weil diese Menschen in aller Regel den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen oder diesen eigenen Wertekatalog gezielt einsetzen, um gesellschaftliche Macht auszuüben. Häufig missachten diese Menschen gerade die Freiheitsrechte anderer, indem sie deren Interessen bewusst oder unbewusst missachten. Ein Katalog, in dem dann alles „gut“ und alles andere „schlecht/böse“ sein soll, ist dann bereits ein Indiz für diese Missachtung. 

Auf wesentliche Gedanken aus folgenden Artikel des hpd wird hier als weiterführende Literatur verwiesen sowie auf diese Überlegungen.

III. Allgemeiner Teil der menschlichen Moral